Mein erster Tag im Grossen Rat – Lucia Engeli

Die Vorbereitung war beeindruckend: 230 Seiten mussten durchgeackert werden. Der Grossratstag ist entsprechend getaktet: Nach dem ersten Kafi geht die Fraktionssitzung los. Sie ist sehr informativ: Die Traktanden werden besprochen, dazu die Argumentationen. Eine ungefähre Prognose, wie die anderen Fraktionen abstimmen werden, ist nicht immer möglich. Manchmal wird in der Fraktion schon einmal kurz abgestimmt, um ein Stimmungsbild zu erhalten. Oft gehen die Meinungen auseinander. Das Traktandum zur Formularpflicht für Vermieter, was für mehr Transparenz für die Mieter:innen sorgen würde, steht kurz vor einem Rückzug. Wollen wir uns das antun? Ja, ist die Meinung. Wir stehen hinter diesem Anliegen. Wenn das niemand sonst unterstützen kann – tant pis. Wir bringen es trotzdem. Es braucht manchmal Mut und Frustrationstoleranz im Grossen Rat!

Dann kommt der Wechsel in den Grossratssaal. Beim Betreten des Saals werde ich nochmals kurz von der Weibelin instruiert, wie genau die Choreografie der Inpflichtnahme ist. Ich stehe da, mein Kollege dort, gemeinsam sagen wir die drei Worte: „ich gelobe es“. Ok, das sollte machbar sein. Ich nehme Platz, von oben winkt meine Familie. Die Tribüne ist nicht sehr benutzerfreundlich. Ich sehe von meiner Familie nur den obersten Teil der Frisur, sie sehen also auch nicht den ganzen Saal, zu hoch ist die Ballustrade, erst recht für eine 6-jährige. Gleich nach Sitzungsbeginn werde ich aufgerufen. Der Text, den ich geloben sollte, wird vorgelesen, und schon sind die drei Worte: ich gelobe es! vorbei. Ich setze mich wieder hin. Im Saal finden während der ganzen Grossratssitzung viele Gespräche statt. Die Meinungen über die Traktanden auf der Liste von heute sind bereits gemacht – besprochen werden Themen, welche in den kommenden Sitzungen aufgebracht werden sollen. Die Voten am Mikrophon sind somit meist vorhersehbar. Die Redner:innen sind unterschiedlich packend, es wird meistens nicht zugehört. Meine Tochter fragt später: darf man einfach sprechen, wenn jemand vorne am Rednerpult ist? Ja, im Grossen Rat darf man das. In der Primarschule hingegen nicht.

Über den Mittag gibt es zwei Angebote: die AEW und das Kuratorium bieten an, ihre Arbeit zu zeigen. Ich entscheide mich fürs Kuratorium. Es freut mich, dass es dort ganz selbstverständlich vegetarische Lasagne gibt. Dazu wird eine Präsentation gezeigt und danach kann mit den Kuratoren informell gesprochen werden. Es ist interessant, anregend, und macht auf jedenfall einen guten Eindruck. Danach geht es wieder in den Sitzungssaal und der zweite Teil wird angepackt. Wir sind sogar vor 17 Uhr fertig! Nächste Woche kommt der Aufgaben- und Finanzplan. Zwei Bücher à mehreren hundert Seiten werden mir vorgelegt. Das ist es, worüber wir nächste Woche sprechen!

Es war interessant, lehrreich, bunt gemischt. Ich hatte es mir mehr als Gegeneinander vorgestellt, diese Parlamentsarbeit. Ich bin erleichtert, dass gegenseitiger Respekt und flexible Meinungen und Fronten spürbar sind. So lässt es sich arbeiten! Ich freue mich auf das, was da auf mich zukommt!